Laudatio für die HAZ queer Zürich
Am 7. Juli 2025 hat die HAZ queer Zürich den Gleichstellungspreis der Stadt Zürich erhalten. Mona durfte an der Preisverleihung im Zürcher Stadthaus die Laudatio halten.
© Caroline Minjolle
Ich habe versucht, die protokollarische Rangordnung der Stadt Zürich zu ergoogeln, um die Anwesenden hier anständig begrüssen zu können. Aber dann habe ich gemerkt, dass ich als Dragqueen – also als die eigentliche Königin von Zürich – gar nicht aufgeführt bin. Deswegen habe ich mich dagegen entschieden und sage darum nur:
Geschätzte Anwesende, sehr geehrte Damen bis Herren, alle dazwischen, innerhalb und ausserhalb. Liebe Freund*innen der HAZ und vor allem: liebe HAZ queer Zürich – liebe Community!
Vom Pornoladen ins Stadthaus. So könnte ich diese Laudatio übertiteln. Wer nämlich im Herbst 1972 in den Pornoladen an der Froschaugasse ging, um sich verstohlen einen Schwulenporno zu kaufen, staunte nicht schlecht: Denn die Ladeninhaberin steckte jedem schwulen Kunden das Info-Blatt der Homosexuellen Arbeitsgruppen Zürich zu.[1] Darauf prangte das Motto der HAZ: «Lila ist die Farbe des Regenbogens, Schwestern, die Farbe der Befreiung ist rot!»[2] (Darum auch mein Kleid heute…)
Sie merken es – ich bin Nostalgikerin und liebe es, in die Vergangenheit zurückzuschauen. Sie werden das vielleicht müssig finden, aber ich behaupte: Der Blick in die Geschichte lohnt sich. Gerade bei der HAZ, die schon über 50 Jahre besteht.[3] Also bin ich in die Archive abgestiegen, ohne Rücksicht auf den Staub, der mir zwischen die Pailletten kam, und habe in den alten Schachteln Schätze gehoben. (Und mit alten Schachteln kenne ich mich aus – ich bin ja selbst eine!) Ich habe also Schätze gehoben. Schätze, wie jener Hinweis auf diese Aktion im Pornoladen. Der erste Vorstand der HAZ hatte die clevere Aktion initiiert. Eben erst gegründet im Frühling 1972, wollte die umtriebige HAZ neue Mitglieder gewinnen. Mitglieder für die «Befreiung der Homosexualität aus inneren und äusseren Zwängen», wie es auf einem früheren Flugblatt hiess. Denn «die Gesellschaft hat uns in den Untergrund gezwängt. Wir leben in einem Ghetto. Wir wollen aus dem Ghetto raus!»[4]
Die Zeiten waren andere. Die Stadtpolizei Zürich registrierte damals homosexuelle Männer in einem Register – ohne jegliche rechtliche Grundlage; zuvor in den 1960er-Jahren gab es regelmässig Razzien in queeren Bars; für gleichgeschlechtliche Paare galt ein viel höheres ‹Schutzalter›; für lesbische Frauen kam noch die Diskriminierung als Frau im Männerstaat Schweiz obendrauf; trans Menschen blieben fast völlig unsichtbar und isoliert. Die Einstellung der Gesellschaft gegenüber queeren Menschen war bestenfalls geprägt von Vorurteilen, schlechtesten Falls von Ablehnung und Hass. Und heute? Heute stehen wir hier. Nicht mehr im Pornoladen, sondern im Stadthaus. Die HAZ erhalten einen hochoffiziellen Preis der Stadt Zürich, eine Dragqueen hält die Laudatio.[5] Seit 2022 dürfen gleichgeschlechtliche Paare heiraten und Zürich hat eine lesbische Stadtpräsidentin, deren Frisur meiner zum Verwechseln ähnlich sieht.
Das Ghetto scheint überwunden, die Fesseln gesprengt. Eine Entwicklung, die ohne die HAZ undenkbar gewesen wäre. Möglich nur, dank ihrem unermüdlichen Einsatz, dem beharrlichen Engagement und den vielen Aktivist*innen, die diese Organisation mitgeprägt haben. Und immer wieder war die HAZ eine Vorreiterin: Mit ihrer Gründung 1972 entzündete sie einen Funken, der von Zürich aus bald aufs ganze Land übersprang. Nach und nach entstanden in Bern, Basel, St. Gallen weitere homosexuelle Arbeitsgruppen, bald darauf auch ein nationaler Zusammenschluss, die HACH – hach! Auch während der Aids-Krise in den 1980er-Jahren kamen wesentliche Impulse aus der HAZ: Aus ihren Reihen gründete sich die Aids Hilfe Schweiz, die unzählige Leben rettete und heuer ihre 40-jährige Bestehen feiert. Anfang der Nullerjahre setzte sich die HAZ mit Verve für die eingetragene Partnerschaft im Kanton Zürich ein: 2002 wurde dank diesem Einsatz erstmals in der Schweiz in einer Volksabstimmung ein Partnerschaftsgesetz beschlossen. Und erst letztes Jahr stemmte sich die HAZ gegen die Anti-Genderstern-Initiative der SVP. Vor allem aber bietet die HAZ seit über fünfzig Jahren der queeren Community in Zürich ein Zuhause. Die HAZ queer Zürich ist eine Familie, sie ist unsereFamilie. Diese Arbeit und diese Erfolge werden heute mit der Übergabe des Gleichstellungspreises honoriert. Sie verdienen grossen Respekt und verlangen von uns Nachgeborenen tiefe Dankbarkeit. Und doch frage ich mich: Ist das die Geschichte, die ich hier und heute erzählen möchte? Vom Pornoladen ins Stadthaus? Eine Geschichte von einem Anfang mit Diskriminierung und einem Ende mit Akzeptanz? Mit Phrasen von steinigen Wegen und überwundenen Hindernissen? Eine Geschichte mit Happy End?
Mit der Geschichte ist es so eine Sache. Sie ist wie eine Dragqueen auf ihrem Nachhauseweg um drei Uhr morgens. Ganz so gerade verläuft sie eben nicht. Blicken wir auf die aktuelle Weltlage ‹tschudärret’s› einen. Unzählige Bücher, die in der Regenbogenbibliothek der HAZ noch zur Verfügung stehen, werden derzeit in den USA verboten. In Grossbritannien schränkt der oberste Gerichtshof die Rechte von trans Menschen ein. Der deutsche Bundeskanzler antwortet auf die Frage, warum auf dem Parlamentsgebäude keine Regenbogenflaggen gehisst werde, der Bundestag sei kein Zirkuszelt. Und just heute warnte die hiesige kantonale Gesundheitsdirektion vor «irreversiblen Eingriffen bei Minderjährigen».[6] Gemeint sind geschlechtsangleichende Massnahmen für trans Jugendliche, bei denen die Rate der Suizidversuche doch um ein Vielfaches höher ist. Gerade darum wäre eine adäquate Behandlung und ein Staat, der diese Jugendlichen effektiv schützt, bitter nötig.
Im Angesicht dieser Entwicklungen kommt es mir irgendwie vermessen vor, eine simple Erfolgsgeschichte zu erzählen. Eine Geschichte mit klarem Anfang und Ende. Denn die Geschichte ist noch lange nicht zu Ende – und so wie ich die HAZ kenne, ist es auch ihr Engagement nicht. Doch gerade darum will ich bei der Geschichte blieben. Denn, wenn wir die reiche Vergangenheit der HAZ anschauen, können wir für die Gegenwart lernen – und vielleicht auch für die Zukunft.
Darum schauen wir nochmals zurück auf die Anfangszeit der HAZ. Diesmal nicht auf einen Pornoladen, sondern auf einen regnerischen Tag im Juni 1978. Auf der Pestalozziwiese fand der erste Christopher-Street-Day, die erste Pride in der Schweiz statt. Aktivist*innen sammelten Unterschriften für die Abschaffung des Homo-Registers. Jenes illegale Register der Polizei, von dem ich vorhin gesprochen habe und in dem schwule Männer registriert wurden. Es war eine gemeinsame Aktion der HAZ mit der Schweizerischen Organisation der Homophilen (SOH) und der Homosexuellen Frauengruppe(HFG).[7] Dass die Aktion als gemeinsame Aktion stattfand, ist nicht selbstverständlich. Die studentisch geprägte HAZ fand die Homophilen der SOH nämlich zu spiessig und zu bürgerlich.[8] Die Frauengruppe wiederum hatte sich vier Jahre zuvor von der HAZ abgespalten und kritisierten die männlichen Strukturen des Vereins.[9] Und auch innerhalb der HAZ gab es zuweilen Misstöne: Die aktivistischen ‹Polit-Schwestern› störten sich an den ‹Konsum-Schwestern›, die nur tanzen wollten.[10]
Doch das gemeinsame Ziel brachte die verschiedenen Gruppen an jenem Tag auf der Pestalozziwiese zusammen. Sie haben nicht darauf geschaut, was sie trennt, sondern darauf, was sie verbindet. Zu Beginn blieben die Aktivist*innen noch hinter dem schützenden Stand. Doch schliesslich wagte sich als erste eine Lesbe aus der HFG hervor.[11] Sie trat an die Passant*innen heran und bat um Unterschriften. Solidarisch hat sie den ersten Schritt gewagt, um ihre schwulen Schwestern zu unterstützen. Immer mehr Aktivist*innen aus diesem diversen Grüppchen fassten Mut und innert weniger Stunden waren sage und schreibe 5’000 Unterschriften gesammelt. Die Petition wurde eingereicht und es verging kein Jahr und das Homo-Register in Zürich war abgeschafft. Bald darauf fielen auch die Register in anderen Städten, wie in Bern und Basel.[12]
Was lehrt uns diese Anekdote? Sie lehrt uns, dass wir als Community immer dann stark sind, wir uns nicht spalten lassen, sondern zusammenstehen. Über die Identitätsgrenzen hinweg. Wenn wir nicht unsere Unterschiede betonen, sondern unsere Gemeinsamkeiten. Wir sind dann erfolgreich, wenn wir solidarisch sind miteinander – und mit anderen, die sich gegen Unterdrückung einsetzen. Wir kommen weiter, wenn wir uns verschwestern. Gerade in den gegenwärtigen Zeiten und bei der aktuellen Weltlage ist diese Verschwesterung wieder nötiger denn je. Die HAZ hat uns gezeigt, wie das geht. Diese Haltung steckt tief in der DNA der HAZ. Immer wieder aufs Neue hat sie sich geöffnet, um für alle in der Community da zu sein. Zuletzt zum Beispiel mit der Umbenennung in HAZ queer Zürich 2015.[13]
Darum: Danke HAZ. Vielen Dank für die vielen Jahrzehnte Engagement. Vielen Dank, dass du unsere queere Familie in Zürich bist und bleibst. Vielen Dank für die Liebe, die Freundschaft und vor allem eben für die Solidarität. Und nun sehen Sie, liebe Anwesende, warum ich gerne in die Vergangenheit schaue. Weil wir damit unseren Blick für die Zukunft schärfen. Denn die Geschichte ist noch lange nicht fertig. Darum wäre der Titel dieser Laudatio vielleicht weniger: Vom Pornoladen ins Stadthaus. Sondern viel mehr: Vom Stadthaus in die Welt. Ein bisschen mehr HAZ für die Welt. Das zumindest wünsche ich mir für die Zukunft.
Schliessen möchte ich mit einem kurzen Zitat aus einer Rede aus der Anfangszeit der HAZ. Da steht: «Ich möchte etwas tun. Mit Euch. Ich möchte mich geborgen fühlen bei Euch. Ich möchte Kraft schöpfen. Durch Euch. Ich möchte da sein. FÜR EUCH, wenn Ihr wollt, für uns alle.»[14] Wer die Rede geschrieben hat und wo sie gehalten wurde, ist nicht vermerkt. Dafür der Titel des Texts: «Zukunft». — Vielen Dank.
[1] So steht in einem Protokoll: «W[.] erreichte, dass im ‹Pornoladen› an der Froschaugasse den schwulen Käufern das HAZ-Info-Blatt überreicht werde. Um den Kontakt mit der Ladeninhaberin aufrechtzuerhalten, wünscht er, dass jeder von uns, der dort vorbeigeht, sich als HAZ-Mitglied vorstellt.» (Protokoll der HAZ-Versammlung, 21. Spetember 1972, in: Schwulenarchiv (sas) im Schweizerischen Sozialarchiv (SozArch), Ar 36.75.1.M2.)
[2] HAZinfo, Nr. 1, Juni 1972, in: Ar 36.75.9.M2.
[3] Vgl. zur Geschichte der HAZ: Martin, Gérôme: 50 Jahre queere Bewegung in der Schweiz, in: SRF, 5. September 2022. Sowie: Ostertag, Ernst: HAZ Zürich, Schwulengeschichte.ch, Mai 2011.
[4] Flugblatt, Dezember 1971, in: Ar 36.75.1.M1.
[5] Vgl. Medienmitteilung der Stadt Zürich: Gleichstellungspreis 2025 geht an die HAZ – Queer Zürich, 20. Mai 2025.
[6] Vgl. die Einladung zur schändlichen Medienkonferenz des Kantons Zürich: Versorgung von Transgender-Jugendlichen. Schutz vor irreversiblen Eingriffen bei Minderjährigen, 1. Juli 2025.
[7] Vgl. zu den queeren Bewegungen in der Schweiz: Petruzziello, Mattia; Urech, Tobias: Queere Bewegungen in der Schweiz, in: Lücke, Martin; Rottmann, Andrea; Gammerl, Benno (Hg.): Handbuch queere Zeitgeschichten, Bd. III: Bewegungen, Bielefeld 2025 (im Erscheinen).
[8] Das anfängliche Misstrauen war indes beidseitig. So schrieb der Sekretär der SOH 1973 im Magazin glf Köln Journal: «Dass die Schweiz sich den Luxus leistet, zwei Organisationen (SOH und HAZ) zu haben, liegt an der Tatsache, dass die Träger der HAZ nicht bereit sind, trotz mehrmaliger Aufforderung von uns, mit uns zusammenzuarbeiten. Wir seien ihnen zu bürgerlich und zu wenig gesellschaftspolitisch engagiert. [… Wir] haben das Gefühl, dass man in unseren Breitengraden mit Evolution weiter kommt als mit radikaler Schwärmerei und marxistischer Phraseologie.» (glf Köln Journal, Nr. 4, 1973 in Ar 36.75.2.M1.)
[9] Vgl. Gessler, Verena: Neue Selbstständigkeit wird geprobt. Die Homosexuelle Frauengruppe Zürich hat sich von der Männer-Arbeitsgruppe HAZ getrennt, in: National-Zeitung Panorama, 4. Januar 1975. Archiviert in: Ar 36.75.2.M3.
[10] Vgl. Ostertag, Ernst: Club Zabi, Schwulengeschichte.ch, September 2006.
[11] Es handelte sich dabei um die Historikerin Regula Schnurrenberger (1953–2005). Vgl. zu Schnurrenberger: Nünlist, Esther: Aus Lust an der Sache, in: WOZ, Nr. 49, 8. Dezember 2005.
[12] Vgl. Urech, Tobias: Die Geschichte einer Befreiung, in: DU – das Kulturmagazin, Nr. 914, Juni 2022.
[13] Vgl. Naef, Martin: 50 Jahre HAZ. Kampftrupp und Safespace, in: Display, 29. August 2022.
[14] Vgl. N.N.: Zukunft, undatiert, ca. 1972, in: Ar 36.75.6.M2.