Welche Gamie?

Sie glauben es vielleicht nicht, geschätzte Leser*innen, aber manchmal kommt es vor, dass ich mich meinem Gegenüber vorstellen muss. Ich weiss – auch ich hätte gedacht, dass mein Name seit Jahren schon, allerspätestens aber seit ich Kolumnistin der ‹Mannschaft› bin, im hinterletzten Winkel des Landes – ach was! – ganz Europas bekannt ist. Dem ist bedauerlicherweise nicht so. Aber eigentlich wollte ich niemanden wegen einer (zugegebenermassen drastischen) Bildungslücke blossstellen, sondern schildern, was oft passiert, nachdem ich mich jemandem vorgestellt habe: In dem Moment, wo mein Gegenüber das Wortspiel meines Namens begriffen hat – die einen haben eine schnellere Auffassungsgabe als andere –, folgt nicht selten die verblüffte Frage: «Ist dein Name etwa ein Statement für die Monogamie?» Dieses Erstaunen ist vielschichtiger, als man gemeinhin aufs erste Hören glauben würde. Darin schwingt die Unterstellung mit, dass gerade Dragqueens – quasi die in Stöckelschuhen, Strümpfen und Make-up kondensierte Reinform der queeren Kultur – wenn nicht die Polyamorie, so doch mindestens eine offene Beziehung der Monogamie vorziehen müssten. Eine offene Beziehung scheint Standard zu sein in unserer queeren Community. Der Anspruch: Wer queer und somit sexuell und/oder geschlechtlich von der Norm befreit ist, soll darum auch gleich die olle Zweierkiste über Bord werfen. Erzählt mir doch mal jemand, er*sie sei monogam, schwingt oft ein entschuldigender Unterton mit.

Nun geht es mir in dieser Kolumne nicht darum, eigenmächtig festzulegen, welche Beziehungsform – die polygame oder die monogame – die bessere ist. Weder will ich eine Lanze für die Monogamie brechen, noch ist mein Name eine verborgene Botschaft. Wer bin ich schon, darüber zu urteilen, wie andere Leute zusammenleben sollen? (Obwohl, als Dragqueen darf man ja über alles und jede*n ungefragt urteilen. Aber das am Rande…) Mir geht es um etwas anderes: Statt, dass wir hier in unserer Community neue Normen – die offene Beziehung – etablieren, sollten wir unser Augenmerk doch vielmehr darauf legen, dass wir unsere Lebensformen frei und unabhängig wählen können. Ganz ohne moralischen Ballast, ob jetzt von der monogamen oder der polygamen Seite. Und: Was sich mit der einen Person richtig anfühlt, muss nicht unbedingt zur anderen passen. Jede Beziehung ist anders, jeder Mensch individuell und durch unser Queer-sein haben wir «die historische Gelegenheit, Beziehungs- und Gefühlsmöglichkeiten neuerlich zu eröffnen». Letzter Teilsatz stammt nicht von mir, sondern von meinem schwulen Lieblingsphilosophen, Michel Foucault. Er fand schon 1981 in einem wunderbaren Interview, dass wir uns für Lust empfänglich machen und unsere eigenen Lebensformen finden sollten, statt neue Normen zu etablieren. Wobei – über eine ganz bestimmte neue Norm wäre ich gar nicht so böse: Nämlich, dass ich nun endlich so berühmt werde, dass ich mich niemandem mehr vorzustellen brauche. Das ist nämlich auch die einzige Mono/agamie, um die ich mich wirklich schere.

Tobias Urech