Statt Heim-Society…

 
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Das mit der Heimat, liebe Leserin, lieber Leser, ist so eine Sache. Besonders für eine weitgereiste Drag Queen wie mich. Zwar predigt der wohl berühmteste aller Kalendersprüche, Heimat sei, wo das Herz ist. Dass es aber vielschichtiger ist als das, habe ich allerdings letzten Samstag erfahren. Dazu ein bisschen Background: Sie mögen ja vielleicht schon viel von mir gelesen haben (ich hoffe es zumindest!) und wissen als gut informierte Person um meine Biografie. Aber in Zeiten von Filterblasen kann man sich dessen ja nie ganz sicher sein, darum: Ich bin Schaffhauserin und hier aufgewachsen – als schwuler Junge. Zunächst in Herblingen, dann im Spiegelgutquartier. Und hier gab es statt High Society wahrlich bloss die Damenriege. Gerade als ich begann, nicht nur theoretisch schwul zu sein, sondern auch praktisch, wurde mir das Städtli zu eng. Ich fühlte mich verraten von der Stadt, die mir so lange Heimat war und schweifte in die Ferne. Nun, nicht ganz so fern, schliesslich ist Zürich seit dem letzten Fahrplanwechsel nur noch 36 Minuten von Schaffhausen entfernt. Trotzdem fühlt es sich wie eine andere Welt an, in der ich vor sechs Jahren ankam und blieb. Die Abgrenzung war mir wichtig: Ich, die Neo-Zürcherin, nicht mehr die Schaffhauserin.

Nun bin ich letzten Samstag mitten in der Stadt, im Mosergarten am Festival der AL aufgetreten und wurde ein wenig belehrt: ich fühlte mich daheim, glücklich ob all den schönen Begegnungen mit wunderbaren Menschen. Ich war mich aufgehoben, was ich, als ich das Städtli verliess, mir nicht hätte träumen lassen, aber wohl gewünscht habe. Ich will nun nicht allzu kitschig werden, denn ich gebe den Kalendersprüchen recht: Heimat ist nicht Herkunft und ich war auch froh, als mich der Zug am Sonntagnachmittag wieder über die Limmat Richtung HB trug, zu meiner Wahlfamilie, dem Ort, an dem ich Freundinnen bis Freunde fürs Leben gefunden habe. Noch weniger ist Heimat ein Apfel, der von «Würmern» zerfressen wird, wie uns eine gewisse Partei weismachen will. Heimat gehört keinem, sie ist teilbar und gehört allen, ist ein Gefühl. Eben da, wo unser Herz ist. Aber unser Herz kommt schliesslich von irgendwo her. Was ich sagen will: Wir müssen mit dem Widerspruch leben, dass viele von irgendwoher kommen, sich aber irgendwo (wieder)finden. Dass viele einen metaphorischen Schminkkoffer voll Herkunft mitbringen an den neuen Ort und diesen neuen Ort lieben, zu ihm gehören. Aber auch, dass es überall tolle Menschen gibt, die einen alte Orte wieder lieben lassen, und uns an unsere Herkunft erinnern.

Übrigens: Bei meiner Recherche zur Kolumne fand ich heraus, dass Wikipedia nur Magister Konrad, einen Churer Domherren aus dem 14. Jahrhundert als einzige Herblinger Persönlichkeit aufführt. Wäre es da nicht einmal an der Zeit, eine ihnen bekannte Drag Queen zu ergänzen? Jetzt, wo die Stimmung doch so schön versöhnlich ist?

Mona Gamie