Ikonen klonen

 
 

Als Drag Queen liebe ich ja die Popkultur! Und deren unterschwellige Politik. Haben Sie das neue Taylor Swift Musikvideo schon gesehen? Ich war gelinde gesagt überrascht, als ich gesehen habe, wie sehr es vor Regenbogenfahnen überbordet. Mit ihrem Song «You need to calm down» (deutsch «Beruhig Dich mal») adressiert sie Homophobe und schlägt Ihnen vor, sie sollen mal ein wenig chillen. (Ich würde Homophoben ja ganz andere Dinge an den Kopf werfen, aber das nur nebenbei.) Der Song ist deswegen interessant, weil Swift bis vor kurzem apolitisches Starlet der neuen Rechten und weissen Rassist_innen in den USA war und sich erst kürzlich politisch pro Demokraten äusserte – alles andere als eine Ikone der queeren Bewegung. Natürlich haben alle das Recht, ihre Meinung zurückzubehalten oder zu ändern. Angela Merkels «Bauchgefühle» gegenüber der Ehe-Öffnung sind ja in der Zwischenzeit auch verflogen. Dennoch wundere ich mich, dass Swift erst jetzt, wo sogar die hinterletzte Provinzbank und Regionalairline ihr Logo im Juni in Regenbogenfarben tauchen, auf den LGBT-Zug aufzuspringen versucht. (Man möchte fast meinen, Schwule seien plötzlich weniger grusig als Nazis. Oder zumindest lukrativer… Ein Schelm, wer dabei Böses denkt!)

Was mich allerdings besonders amüsiert: In der Zwischenzeit stürmt ein Song die Charts und die Pride-Playlisten meiner Community: «On a roll» von Ashley O, die als saisonale Queer Icon beinahe schon Kultstatus erreicht. Noch nie von Ashely O gehört? Kein Wunder: Sie ist eine Kunstfigur, geschaffen für eine Folge der beliebten Netflix-Serie «Black Mirror» und gespielt vom echten Pop-Sternchen Miley Cyrus, die sich schon lange für LGBT-Rechte einsetzt und selbst Teil der Community ist.

Während ich Swifts Song noch an keiner einzigen queeren Party gehört habe, erobert ein Song von einem Popstar, der gar nicht echt ist, die Herzen der Community. Und macht Miley Cyrus damit endgültig zur Queer Icon, wie andere vor ihr, die sich loyal für LGBT-Rechte eingesetzt haben. Man denke nur an Liz Tyler, die sich öffentlich für HIV-Positive starkmachte, als es noch niemand tat. Oder Madonna, die in den 90ern schon meinte, eines der grössten Probleme Amerikas sei die Homophobie. Oder Dalida, die 1972 von Männern sang, die einander heirateten. Auf was ich hinaus möchte? Dass man sich am popkulturell interessierten Teil der LGBT-Community ein Vorbild nehmen könnte. So schnell fallen wir nicht auf plötzliche Anbiederungen hinein. Das sollte man sich vielleicht für die nächsten Abstimmungen zu Herzen nehmen. Wir sollten uns sagen: So schnell fallen wir nicht auf Parteien hinein, die plötzlich für die Ehe für alle sind oder sich von heute auf morgen grün geben. Nun, nicht nur das Private ist politisch, sondern auch das Popkulturelle. Und Politik? Ist eigentlich auch nichts anderes als Drag. Aber das wäre ein Thema für eine der nächsten Kolumnen…

Mona Gamie